Vom Rollstuhl zurück auf den Pferderücken
- Tina Schöni
Ein Unfall im Reitstall ist der Grund, weshalb Sabrina Laubscher im Rollstuhl sitzt. Durch ihren starken Willen und viel Training schaffte sie es trotz Handicap zurück in den Pferdesattel.
Als Sabrina Laubscher 19 Jahre alt war, hat sich ihr Leben grundlegend verändert. Durch einen Unfall verlor sie ihr Gefühl in den Beinen. Seither sitzt sie im Rollstuhl. Passiert ist der Vorfall auf dem Reitsportzentrum Kronwall in Grenchen (SO), wo Laubscher damals eine Ausbildung im Bereich Pferdepflege absolvierte – und heute noch tätig ist.
Vom Strohballen getroffen
An den Unglückstag kann sich die mittlerweile 31-Jährige noch gut erinnern. «Wir haben eine neue Strohladung bekommen und wollten zu zweit etwas davon holen.» Bei einem Manöver im Stall löste sich urplötzlich ein Ballen aus dem Stapel. Er traf die junge Pferdenärrin am Kopf. «Ich bekam einen unsanften Schlag auf den Rücken und fiel zu Boden. Danach habe ich geflucht und Blut an meinen Lippen geleckt, weil ich sie mir beim Sturz aufgebissen hatte.»
Laubscher stand unter Schock, ihr Körper unter Adrenalin. Erst als die Lehrtochter ihr beim Aufstehen helfen wollte, bemerkte sie das taube Gefühl. «Ich konnte meine Beine nicht mehr bewegen, spürte sie nicht mehr.» Laubscher beschreibt das Gefühl mit jenem Zustand, bei dem die Durchblutung unterbrochen und Arme oder Beine «eingeschlafen» sind. «Mit dem einzigen Unterschied, dass ich auch kein Kribbeln mehr spürte.» Bei Laubscher wachten die Beine nicht mehr auf. «Mir war sofort klar: Irgendwas stimmt hier nicht.» Die Ambulanz brachte sie ins Spital. Dort erfuhr sie durch die Ärzte, dass sie sich den ersten Lendenwirbel und zwei Rippen gebrochen hatte und fortan hüftabwärts gelähmt sein wird.
Ein Ziel vor Augen
Sechs Monate lang musste Laubscher medizinisch versorgt und behandelt werden. Mittels diverser Therapien musste sie lernen, sich auf ein Leben mit Rollstuhl einzustellen. Um ihre Muskulatur aufzubauen und zu stärken, habe ihr die sogenannte Hippotherapie mit Islandpferden geholfen. «Auf ihrem Rücken trainierte ich in Begleitung mit den Therapeuten unter anderem mein Gleichgewicht.»
Sich auf ein Leben im Rollstuhl einzustellen, sei ihr nicht sonderlich schwer gefallen. Mit der Lebensumstellung habe sie sich abgefunden. Angetrieben worden sei sie dabei von einem spezifischen Wunsch: «Ich wollte unbedingt meine Selbstständigkeit zurückerhalten.»
Zweifel und Ängste hätten sie zwischendurch auch begleitet. Doch Laubscher fand einen Weg, damit umzugehen. Sie erklärt: «Ich setzte mir jeweils eine Frist, wie lange ich mich mit schlechten Gedanken auseinandersetzten durfte. Nach zwei Tagen Frust befahl ich mir, wieder positiv eingestellt zu sein.»
Ihr eiserner Wille war es dann wohl auch, weshalb sie nur wenige Wochen nach dem verheerenden Ereignis wieder im Stall anzutreffen war. «Ich hatte zu dem Zeitpunkt ein eigenes Pferd. Ich musste und wollte mich um das Tier kümmern», sagt Laubscher. Zudem setzte sie sich das Ziel: So rasch wie möglich wieder reiten zu können.
Trainings, Stürze und Turniere
Dieser Wunsch ist Laubscher schliesslich auch gelungen. Zusammen mit Freunden und Familie baute sie sich nach dem Umfall eine Aufstiegsrampe. An ihrem Sattel brachte sie Klettverschlüsse an, um ihre Beine zu fixieren. Die Steigbügel präparierte sie so, dass ihre Füsse nicht durchrutschen konnten. Dann probierte sie das Reiten aus. Immer und immer wieder.
«Ich sass öfters schief im Sattel und ein paar Mal bin ich auch runtergefallen», sagt Laubscher. Das Reiten mit Handicap sei mit Umstellungen verbunden. Statt mit den Schenkeln arbeitet sie mit der Stimme. Die Gerte nutzt sie als verlängertes Bein. Auch für das Pferd sei das eine Gewöhnungssache. Ihr damaliger Warmblüter habe Schwierigkeiten gehabt. Laubscher empfand ihn dafür als ungeeignet. «Ich verkaufte ihn an meine Reitbeteiligung und tat mir stattdessen einen Isländer zu.»
Dann entwickelte sich Laubscher zu einem Parasportprofi und nahm mit ihren Pferden an grossen Turnieren im In- und Ausland teil. 2010 vertrat sie die Schweiz sogar an der Weltmeisterschaft in der Dressur. Irgendwann sind ihr die Wettkämpfe jedoch zu viel geworden – und sie entschied, wieder kürzer zu treten.
Über sich hinaus(ge)wachsen
Inzwischen gibt die 31-Jährige in Grenchen Reitunterricht. Auf ihre Lähmung würden die Leute unterschiedlich reagieren. «Manche schauen erst kritisch, wenn ich den Reitunterricht gebe. Aber insgesamt geht die Mehrheit sehr offen damit um.»
Auf Social Media wird sie seit dem Unfall immer wieder persönlich angeschrieben. Andere Paraplegiker suchen den Kontakt etwa, um sich mit ihr auszutauschen oder Tipps bezüglich des Reitens einzuholen. In Bezug auf den Reitsport habe sich wenig für sie geändert. «Ich reite keine jungen oder unbekannten Pferde mehr und verzichte auf das Springen. Und ich kann keine Stallarbeit mehr machen.» Fliegende Galoppwechsel oder Stangenarbeit seien mit dem Spezialsattel aber möglich.
Laubscher empfiehlt anderen Betroffenen, die im Rollstuhl sitzen und wieder reiten möchten, Geduld zu haben. Wichtig sei es, viel zu trainieren, nicht aufzugeben und auszuprobieren. «Manchmal muss man etwas über die eigenen Grenzen hinausgehen, damit man weiss, wo die Grenzen sind. Ich empfehle zudem: Mut zu haben, Hilfe anzunehmen.»
Der Unfall von Laubscher liegt inzwischen zwölf Jahre zurück. «Manchmal denke ich daran zurück. Aber belasten tut er mich nicht. Es ist also durchaus schon vorgekommen, dass ich den Jahrestag vergessen habe.»