Die Angst, nach der Geburt wieder aufs eigene Pferd zu steigen
- Samantha Schneider
Wie viele andere hat auch Samantha Schneider gedacht, dass sie nach der Geburt ihres Kindes so schnell wie möglich auf ihr Pferd steigt. Doch das war leider gar nicht so einfach.
«Junges, unerfahrenes und unberechenbares Pferd
Kein Problem!
Stur, bockig und nicht einfach händelbar?
Aber gerne!
Bricht gerne mal aus, veranstaltet Rodeo oder hat zuviel Go?
Genau das Richtige für mich!»
Früher wäre mir ein Satz wie: ,,Da trau ich mich nicht rauf’’ nicht über die Lippen gekommen. Ich wollte und konnte die unterschiedlichsten Pferde reiten. Ich war sattelfest und mochte es, wenn es hiess, dieses Pferd wäre schwer zu händeln oder schwierig zu reiten. Es waren immer wieder neue, interessante Herausforderungen dabei und ich durfte viel von ihnen lernen. So kam es dann auch, dass meine Stute Macy ihren Weg zu mir fand. Ein Touristenpferd, welches man nicht vermieten konnte, weil sie unberechenbar war. Immer wieder gab es Unfälle, bei denen sie ihre Reiter in hohem Bogen runterbuckelte und die Reiter dann zu Fuss mit ihr zurück in den Stall kehrten. Nicht das, was sich Vermieter und Tourist für ein gelungenes Erlebnis wünschen. Nicht rentabel für ihre Besitzer, da man sie nicht länger vermieten konnte, sollte sie ihre letzte Reise antreten. Eine wunderschöne, gesunde Stute, mit damals elf Jahren im besten Alter, die ich seit ihrer Geburt kannte. Ohne zu zögern verhandelte ich mit den Besitzern und holte sie dann zu mir. Eine intensive Zeit begann dann für uns
Vertrauen aufbauen
Nachdem Macy tierärztlich, osteopathisch und zahnärtzlich durchgecheckt war, begannen wir bei null mit ihrer Ausbildung vom Boden aus. Longenarbeit, Spaziergänge, Equikinetic und Freiarbeit standen jetzt auf unserer Tagesordnung. Sie vertraute mir immer mehr und wir wurden ein super Team am Boden. Beim Thema Reiten sah es ein bisschen anders aus. Wir genossen zwar wunderschöne Ausritte, dennoch legten sich weder ihre Nervosität, noch ihre rodeomässigen Ausbrüche. Aber das war ja kein Thema, denn ich hatte ja keine Angst und konnte es meistens gut aussitzen und sie schnell wieder beruhigen. Und dann, zwei Jahre später, kam der Tag, der alles veränderte.
Die Schwangerschaft
Ich erfuhr, dass ich schwanger war. So oft habe ich gehört, dass man sich sehr verändern kann, wenn man ein Kind erwartet. Man wird ängstlicher und vorsichtiger. Nie habe ich es geglaubt, bis es mir selbst passierte.
Immer öfter, wenn ich auf meinem Pferd sass, überkam mich dieses mulmige Gefühl und ständig schwirrten mir diese Fragen durch den Kopf. Was ist wenn…? Was, wenn es wieder passiert? Wenn sie wieder ausbricht, wieder buckelt und ich mich, wie schon einige Male davor, nicht im Sattel halten kann und stürze? Was ist mit meinem Ungeborenen? Könnte ich dies mit mir selbst vereinbaren, falls etwas passieren sollte? Meine Unsicherheit und meine Angst übertrug ich logischerweise sofort auf Macy. Sie spürte, dass ich mich veränderte und mich überhaupt nicht mehr wohl fühlte. Also hörte ich auf, sie zu reiten und arbeitete über Monate nur noch vom Boden aus. Der Tag der Geburt meines Kindes rückte immer näher. Gegen Ende der Schwangerschaft zogen wir noch um und Macy kam in einen wunderschönen Offenstall mit viel Platz, Auslauf und vielen neuen Artgenossen. In der Zeit, als ich gebar und mit meinem kleinen Mädchen Zuhause war, konnte sie sich in aller Ruhe in ihrem neuen Zuhuse einleben. Ich wusste, sie war gut versorgt. Die Stallbesitzerin, wie auch eine sehr gute Freundin, die selbst ihre Pferde dort stehen hat, achteten in dieser Zeit gut auf mein Pferd und schickten mir täglich Berichte. Ich dachte, sobald mein Kind dann da ist, könnte ich mich wieder ohne Sorgen und Angst auf mein Pferd setzen und mit ihr wunderschöne Ausritte geniessen.
Reiten nach der Geburt
Tja, was soll ich sagen? Dem war leider überhaupt nicht so. Diese Angst und Panik haben sich in mir festgesetzt. Die Fragen, die mir im Kopf herumschwirrten, als ich schwanger war – sie waren immer noch da. Immer noch fest in meinem Kopf verankert. Sie hatten sich einfach etwas abgeändert. Was ist, wenn etwas passiert? Ich bin nicht mehr alleine und trage jetzt die Verantwortung für mein Kind. Wenn etwas passieren würde, wer würde sich dann um mein Kind kümmern? Was würde ich tun, wenn ich mir ein Arm, ein Bein oder noch Schlimmeres brechen würde? Fragen über Fragen. Eine enorme Unsicherheit und Gewissensbisse meinem Pferd gegenüber waren ständig präsent. Wie konnte mir das passieren? Ich, die Herausfordeungen in Sachen Pferd immer gesucht und geschätzt habe! Wie konnte mich diese Angst so vereinnehmen?
Neue Wege
Ich probierte, langsam wieder zu starten, durfte das ruhige, verlässliche Pferd meiner Freundin reiten. Es tat zwar gut, wieder auf einem Pferd zu sitzen, aber das mulmige Gefühl, wie auch die Angst blieben bestehen. Dazu kam auch das schlechte Gewissen, das an mir nagte.
Wie konnte ich mich auf ein anderes Pferd setzen, während mein Pferd nebenan auf der Wiese stand? Wie soll man mit dieser Angst umgehen?
Sie therapieren lassen? Es einfach so zu akzeptieren, wie es jetzt halt ist? Ich führte einige Gespräche mit verschiedenen Frauen, die Kinder bekamen und Pferde haben. Sehr vielen geht es ähnlich wie mir, bei anderen hat sich gefühlsmässig nicht gross etwas verändert. Ist es nur, weil mein Pferd nicht das grösste Nervenköstum hat? Oder wäre es auch so, wenn sie ruhig und ausgeglichen wäre? Aber da ich diese Angst ja auch auf dem freundlichen Kaltblut meiner Freundin verspüre, liegt es definitiv nur an mir. Wie geht man mit dieser Situation um?
Es tut schon gut, wenn man weiss, dass man mit diesem Gefühlschaos nicht alleine dasteht und es vielen anderen Frauen genauso geht.
Ich habe diese Angst jetzt als ein Teil von mir akzeptiert und lasse mein Pferd zurzeit einfach Pferd sein, betüddle und verwöhne sie und gewöhne mich langsam an den Gedanken, dass ich ihr so einfach nicht mehr gerecht werden kann. Deshalb möchte ich ihr wieder das geben, was sie von mir nicht mehr erhält. Der weiss, wie mit ihr umzugehen und der keine Angst vor ihr hat. Genau so, wie ich vor der Schwangerschaft. Es ist meinem Pferd gegenüber nicht fair, denn sie ist immer noch das gleiche tolle, temperamentvolle Pferd und hat es verdient, dass sich jemand ihrer annimmt und sie mit all ihren Ecken und Kanten akzeptiert und liebhat. Aber bis ich die Nadel im Heuhaufen finde, kann sie ihre Zeit auf der Weide mit ihren Artgenossen geniessen und sich einfach nur von mir mit Leckereien und Massagen verwöhnen lassen.